LUTS bei Männern – mehr als nur die Prostata

Lower Urinary Tract Symptoms

LUTS bei Männern – mehr als nur die Prostata

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Der folgende Beitrag zu LUTS bei Männern wurde im KV Blatt der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin im Juni 2012 veröffentlicht, aufzurufen hier.

Dr. Elke Heßdörfer, Fachärztin für Urologie und Leiterin des Blasenzentrums Westend, Berlin

Seit 2002 gibt es den Begriff Lower Urinary Tract Symptoms, kurz LUTS, als Sammelbegriff für Störungen des unteren Harntrakts. LUTS umfasst Speicher- und Entleerungssymptome sowie Symptome nach Blasenentleerung. Etabliert ist der Begriff LUTS aber nach wie vor nicht. So wird bei Männern mit tastbarer Prostatavergrößerung und Blasenproblemen – egal, ob irritative oder obstruktive S ymptome vorliegen – immer noch vorschnell die Prostata als Ursache angesehen. Es ist die Rede von BPH oder BPS (Benignes Prostatasyndrom), wie es inzwischen korrekt heißt. Es kann nicht oft genug betont werden, dass eine Korrelation weder zwischen der Symptomatik und der Prostatagröße, noch zwischen der Stärke der Symptomatik und dem Grad der Blasenauslassobstruktion besteht.

Häufigkeit

LUTS kommt bei Männern sehr häufig vor. Nach den Daten der EPIC-Studie aus 2006 berichten 62,5 % der untersuchten 7.454 Männer über 18 Jahren über LUTS-Symptome. Davon entfallen 51,3 % auf Speicherprobleme (Syndrom der überaktiven Blase, kurz OAB-Syndrom genannt = erhöhte Miktionsfrequenz tags und/oder Nykturie und/oder imperativer Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz). Nur 25,7 % betreffen Entleerungssymptome (schwacher, unterbrochener Harnstrahl, Startschwierigkeiten, Miktion mit Bauchpresse sowie terminales Nachtröpfeln). 16,9 % haben postmiktionelle Probleme (Restharngefühl oder Harnnachträufeln. Dass LUTS nicht nur allein altersabhängig ist, verdeutlicht die EpiLUTS-Studie, eine Internetumfrage aus dem Jahr 2009: Von 14.139 Männern über 40 Jahren berichten 71 % über LUTS. 12,1 % hatten nur Entleerungsprobleme, 10,3 % hatten Speicher-und Entleerungsprobleme, 9,1 % nur Speicherprobleme. 10,4 % berichteten über Entleerungsprobleme und postmiktionelle Probleme, 3 % hatten allein postmiktionelle Probleme, 2 % Speicherprobleme und postmiktionelle Probleme. Die mit 24,3 % größte Gruppe hatte alle 3 LUTS-Symptome.

Dass eine transurethrale Prostataresektion nicht vor LUTS schützt, belegen Daten einer Untersuchung von 217 Männern mit einer urodynamisch nachgewiesenen Blasenauslassobstruktion, die 10 Jahre nach der TURP in 64 % eine urodynamisch nachgewiesene Detrusorüberaktivität hatten, in 35 % eine Detrusorunteraktivität und in 10 % eine erneute Blasenauslassobstruktion.

Was tun bei männlichen LUTS-Symptomen?

Zum Basisassessment gehört neben der Anamnese mit gezielten Fragen nach den exakten Miktionsproblemen der International Prostata Symptomenscore (IPSS), der überwiegend Entleerungsprobleme und Lebensqualität abfragt. Bei Speichersymptomen sollte deshalb zusätzlich unbedingt ein Blasentagebuch über zwei Tage mit Erfassen der Trinkmenge, der Miktionsvolumina und des Harndrangs erfolgen. Urinstatus und eine Sonographie der Blase sind essentiell zum Ausschluss eines Tumors, Steins, Fremdkörpers sowie zur Beurteilung des Restharns. Des Weiteren wird eine PSA-Bestimmung empfohlen.

Konservative bzw. medikamentöse Therapieoptionen als erste Maßnahme

1. Watchful Waiting und Lifestyle-Änderungen / Verhaltenstherapie

Bei nur wenigen Symptomen und einem niedrigen IPSS-Score (<7) besteht kein Behandlungsbedarf. Allerdings sind Lifestyleänderungen als erste Maßnahme immer sinnvoll, egal ob im Rahmen eines Watchful Waiting oder weiterer Therapiemaßnahmen. Patienten sollten angehalten werden nicht mehr als 1,5 bis 2 Liter zu trinken; bei Vorliegen einer Nykturie ist ein Trinkstopp 2 Stunden vor dem Schlafengehen zu empfehlen. Bei erschwerter Miktion ist ein sog. Double voiding anzuraten. Bei imperativem Harndrang sollte immer auch ein Blasentraining mit Harndrangunterdrückungsmanövern und einer Vergrößerung des Zeitintervalls zwischen den Toilettengängen versucht werden.

2. Alpha-1-Rezeptorblocker

Alphablocker wurden primär eingesetzt, da man vermutete, dass sie die Noradrenalin-Freisetzung aus den glatten Prostatamuskelzellen hemmen und dadurch den Prostatatonus und die Blasenauslassobstruktion reduzieren. Allerdings weiß man inzwischen, dass Alphablocker keinen Einfluss auf den Blasenauslasswiderstand haben. Alphablocker bessern sowohl Speicher- als auch Entleerungsstörungen. Sie reduzieren den IPSS um 35 bis 40 % im Gegensatz zu 20 bis 30 % unter Placebo und verbessern die Flowrate um 20 bis 25 % im Gegensatz zu 10 bis 20 % unter Placebo. Ihre Wirkung ist unabhängig von der Prostatagröße, allerdings scheint die Ansprechrate bei Prostatadrüsen <40 ml, einem PSA <1.3ng/ml und mäßigen bis schweren LUTS-Symptomen am besten. Alphablocker beeinflussen weder die Prostatagröße noch das Risiko, einen Harnverhalt zu bekommen. Sämtliche auf dem Markt verfügbaren Alphablocker sind gleich. Wegen des geringeren Risikos der Vasodilatation, insbesondere bei Patienten unter antihypertensiver Medikation, ist jedoch statt Doxazosin und Terazosin den uroselektiven Substanzen lfuzosin,Tamsulosin und Silodosin der Vorzug zu geben.

Der Wirkungseintritt der Alphablocker ist innerhalb weniger Stunden bzw. Tage zu erwarten, die Wirkung hält auch unter mehrjähriger Therapie an. Im Rahmen einer Kataraktoperation ist das intraoperative Floppy-Iris-Syndrom zu beachten, das überwiegend unter Tamsulosin beobachtet wurde; unklar ist, ob und wie lange die Medikation präoperativ abzusetzen ist.
Besonders unter Tamsulosin und Silodosin kommt es nicht selten zu einer Anejakulation durch Dilatation des Vas deferens.

3. 5"α"-Reduktasehemmer

Der Androgeneffekt auf die Prostata wird durch Dihydrotestosteron bestimmt, das im Prostatastroma durch die 5α-Reduktase aus Testosteron entsteht. 5α-Reduktasehemmer führen über eine Apoptose der Prostataepithelzellen nach 6 bis 12 Monaten zu einer Abnahme der Prostatagröße um 18 bis 28 % und noch mehr nach längerer Behandlungsdauer; der PSA-Wert sinkt um 50 %. Der IPSS verbessert sich nach 2 bis 4 Jahren um 15 bis 30 %.

Finasterid hemmt die 5α-Reduktase Typ 2, Dutasterid 5α-Reduktase Typ 1 und 2, wobei nicht klar ist, ob dies tatsächlich von klinischer Bedeutung ist, da es aufgrund der Datenlage keine eindeutigen Unterschiede der beiden Substanzen gibt. Allerdings scheint Dutasterid die LUTS-Symptome etwas effektiver zu lindern. Im Gegensatz zu Alphablockern verbessern 5α-Reduktasehemmer die LUTS-Symptome langsamer und werden daher bei Prostatadrüsen >40 ml, PSA>1.4ng/ml und mäßigen bis schweren LUTS-Symptomen empfohlen. Sie reduzieren, wenn langfristig genommen, das Risiko eines akuten Harnverhaltes oder eines operativen Eingriffes an der Prostata.

Hauptnebenwirkungen von 5α-Reduktasehemmern sind Libidoprobleme, Impotenz und (seltener) Ejakulationsstörungen sowie Abnahme des Ejakulatvolumens und Gynäkomastie. In Studien war in den Jahren 3 und 4 nach Therapiebeginn die Inzidenz von High-Grade-Prostatakarzinomen (Gleasonscore 8 bis 10) erhöht, wenngleich das gesamte Risiko eines Prostatakarzinoms um 22 % im Vergleich zu Placebo gesenkt war. Aktuell wird eine PSA-Bestimmung sechs Monate nach Therapiebeginn empfohlen. Dieser Wert gilt fortan als Nadir, bei einem Anstieg des PSA im weiteren Verlauf sollte eine Prostatabiopsie erfolgen.

4. Muskarinrezeptorantagonisten (Anticholinergika)

Diese Substanzgruppe, zugelassen zur Behandlung der überaktiven Blase (OAB), war bisher nur bei Männern ohne Blasenauslassobstruktion empfohlen worden. Inzwischen ist aber klar, dass Anticholinergika nicht nur die Kontraktilität des Detrusors bei der Miktion beeinflussen, sondern auch in der Speicherphase hemmend auf die afferenten Signale im Urothel und somit auf den Harndrang wirken. Studien mit Fesoterodin und Tolterodin ergaben bei Vorliegen einer mäßigen Obstruktion zwar leicht erhöhte Restharnwerte, aber keine Erhöhung des Harnverhaltrisikos. Es ist anzunehmen, dass auch die weiteren auf dem Markt befindlichen Anticholinergika (Darifenacin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Trospiumchlorid) ähnlich wirken, wenngleich es keine Daten dazu gibt. Grundsätzlich gilt, dass eine engmaschige Restharnkontrolle unter Anticholinergika erfolgen sollte. Eine Monotherapie wird derzeit bei mäßigen bis schweren LUTS-Symptomen mit überwiegender Speicherstörung empfohlen. Bei Männern mit Restharn >200 ml sollte eine derartige Therapie nicht begonnen werden. Die Hauptnebenwirkungen dieser Substanzklasse sind Mundtrockenheit und Obstipation.

5. Phytotherapie

Die Phytotherapeutika umfassen eine heterogene Gruppe von Substanzen: Kürbiskerne, Sägepalmenfrüchte, Brennesselwurzeln, Roggenpollen und Phytosterole konnten zwar zum Teil in placebokontrollierten Studien eine subjektive Besserung zeigen, allerdings blieben Uroflow, Restharn, Nykturie und Fortschreiten der LUTS-Erkrankung unbeeinflusst. Ihr Einsatz wird daher in den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen.

6. Desmopressin

Desmopressin erhöht die Reabsorption von Wasser sowie die Urinosmolalität. Die Indikation ist nächtliche Polyurie (>33 % der 24h-Urinausscheidung), die anhand eines Blasentagebuchs festgestellt werden kann. Hauptnebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, abdominale Schmerzen sowie eine Hyponatriämie, die besonders bei älteren Menschen beobachtet wurde. Daher ist Desmopressin bei Menschen über 65 nur einzusetzen, wenn das Serumnatrium 3,7 und 28 Tage nach Therapiebeginn kontrolliert wird, danach reichen Kontrollen alle 3 bis 6 Monate. Begonnen wird mit 0,1 mg zum Schlafengehen, bei Bedarf kann die Dosis wöchentlich bis auf maximal 0,4 mg erhöht werden.

7. Kombinationstherapie

7.1: Alpha-1-Rezeptorblocker + 5α-Reduktasehemmer

In großen Studien wie MTOPS (Doxazosin + Finasterid) und CombAT (Tamsulosin + Dutasterid) konnte gezeigt werden, dass unter der Kombinationstherapie die Rate von Harnverhalten und das Risiko einer Prostataoperation gesenkt wurde. Nachteil der Kombinationstherapie ist die Summation der Nebenwirkungen der beiden Substanzgruppen, insbesondere was die Potenz-, Ejakulations- und Libidostörung betrifft. Diese Therapie wird bei Prostatadrüsen >40 ml, schlechtem Flow und mäßigen bis schweren LUTS-Symptomen empfohlen. Allerdings ist die Therapie nicht effektiv, wenn die Therapiedauer unter einem Jahr beträgt. Inzwischen ist auch ein Kombinationspräparat aus Tamsulosin + Dutasterid (Duodart®) verfügbar.

7.2. Alpha-1-Rezeptorblocker + Muskarinrezeptorantagonisten

Diese Kombinationstherapie wird empfohlen, falls die Monotherapie keine ausreichende Besserung der LUTS-Symptome ergibt. Bei Blasenauslassobstruktion sollten jedoch unbedingt Restharnkontrollen im Verlauf erfolgen. Demnächst wird es auch hier ein Kombinationspräparat (Solifenacin + Tamsulosin) geben. Auch bei dieser Kombinationstherapie kommt es neben der additiven Wirkung auch zu den entsprechend additiven Nebenwirkungen.

8. Neues in der Zukunft

8.1. Phosphodiesterase-5- Hemmer +/- Alpha-1-Rezeptorblocker

PDE5-Hemmer (Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil) sind aktuell nur für die Behandlung der erektilen Dysfunktion bzw. Sildenafil und Tadalafil auch für pulmonale arterielle Hypertonie zugelassen. Bei Männern mit ED und LUTS wurde in Studien unter 5mg Vardenafil auch eine Besserung des IPSS beobachtet; eine Zulassung für LUTS wird demnächst erwartet.

8.2. ß3-Rezeptoragonisten

Diese neue Substanzklasse wird voraussichtlich 2013 für die Indikation überaktive Blase zur Verfügung stehen.

Wann muss operiert werden?

Aufgrund der vielfältigen medikamentösen Therapieoptionen sind Prostataoperationen infolge LUTS in den letzten Jahren immer seltener geworden. Absolute Op-Indikationen sind rezidivierende Harnverhalte und eine Dilatation des oberen Harntraktes, wobei bei letzterem nach wie vor unklar ist, wie hoch die prädestinierenden Restharnwerte dafür sind.

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